Statement zu den aktuellen Kontrollen in Berliner Clubs
Die Infektionszahlen in Berlin steigen in den letzten Tagen wieder sehr stark an. Der Regierende Bürgermeister, seine Innen- und Gesundheitssenator*innen sind nervös und reagieren dünnhäutig. Anstatt gesellschaftliche Partnerschaften zu schmieden und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft kooperative Lösungen zu erarbeiten, setzt die Berliner Politik auf Sperrstunden, Prohibition nach 23 Uhr und auf einen Großeinsatz der Berliner Polizei mit Unterstützung der Bundespolizei. Auch Fahrradfahren soll ja mancherorts nur noch mit Maske möglich sein. Really?
Über die Hälfte der Berliner*innen sind Singles, ein großer Anteil ist zugezogen; lebt also nicht mit Partner*in oder Familie zusammen. Der essentielle Teil des sozialen Lebens findet somit nicht in der eigenen Wohnung statt, sondern in Bars, Restaurants, Clubs, Community Spaces und anderen Orten der Begegnung und Kultur. Für viele Mitglieder unserer Gesellschaft sind diese Orte Schutzräume und Zufluchtsorte. Wie gehen wir also damit um, dass Menschen Bedürfnisse der zwischenmenschlichen Zusammenkunft haben? Dass soziale Isolation langfristige Gefahren birgt? Verbieten wir Geselligkeit und Alkohol ab 23 Uhr? Ist das der Zeitpunkt an dem in Berlin die große Enthemmung und der Alkoholfluss beginnt?
Gesellschaften funktionieren nicht so, dass von „Oben“ Ansagen gemacht werden und sich alle daran halten. Nirgendwo auf der Welt! Wir sind doch hoffentlich nach 8 Monaten auch ein bisschen schlauer geworden, wie wir mit dieser Krise umgehen.
Laut der Berliner Gesundheitsverwaltung ist in den Berliner Clubs seit den Lockerungen der Corona-Kontaktbeschränkungen im Juli lediglich EIN Ausbruch mit acht Virus-Fällen innerhalb eines Clubs bekannt geworden. Bei privat veranstalteten Partys wurden hingegen sechs Ausbrüche mit insgesamt 87 Fällen registriert. Das Ansteckungsrisiko besteht also vornehmend im Inneren von Räumen. Alles was draußen passiert ist also offenbar harmlos, epidemiologisch gesehen. Das hat der Sommer bewiesen in dem sehr viele Konzerte, Parties, Festivals und Demos stattgefunden haben, ohne nennenswertes Infektionsgeschehen. Das unterstreichen Epidemiolog*innen, Virolog*innen und andere Wissenschaftler*innen in ihren Statements.
Es spricht also alles dafür, organisierte und an die Pandemie angepasste Veranstaltungen durchzuführen, um der Stadtgesellschaft ein soziales, gesellschaftliches und kulturelles Angebot zu bieten.
In der Alten Münze wurde an diesem Wochenende die Veranstaltung „Pornceptual“ beendet. Dass sich die Veranstalterin peinlichst genau an die Hygieneverordnung hielt und die Gäste sich bei herbstlichen Temperaturen vollbekleidet ausschließlich im Hof der Alten Münze auf 3500qm aufhielten, spielte allerdings keine Rolle. Angeblich „waren (es) einfach zu viele für zu wenig Platz“. Die Polizei brach die Veranstaltung ab, versandt umgehend einen Altherren-Witz Tweet, dass die Veranstaltung wohl „unbefriedigend“ für die Besucher ausging. Sehr lustig … not! Am Abend selbst durften sich die Veranstalter*innen aus der Queer-Szene von Polizeibeamt*innen Zuschreibungen wie „ekelhaft und pervers“ anhören. Diese Vorgänge beweisen wieder einmal, wie wichtig Clubs als Schutzräume für marginalisierte Gruppen sind und wie die Szene der Stigmatisierung durch Presse und Ordnungsbehörden ausgesetzt wird. Obwohl die Veranstaltung aufgrund aktueller Abstands- und Hygieneregelungen sowie niedriger Temperaturen nicht einmal als übliche Fetischparty durchgeführt wurde, sondern als Begegnungsraum unter Auflagen für eine Community fungierte, die seit März von einander isoliert ist, wurden das Konzept sowie die Gäste in der Presse einseitig als beschämend und im selben Zusammenhang rücksichtslos stilisiert und stigmatisiert.
Auffällig ist außerdem, dass bereits seit Sommer immer wieder Open-Air-Veranstaltungen durch die Polizei aufgelöst wurden, obwohl keine ersichtlichen Gründe vorlagen. Im Gegenteil: Oft schien die Polizei nicht ausreichend über die aktuelle Verordnung informiert. So kann und darf Kontrolle aber nicht vollstreckt werden, wenn weiterhin ein Vertrauensverhältnis zu Ordnungsbehörden bestehen soll.
Lasst uns überlegen, wie wir diese Krise mit gesellschaftlicher Solidarität und Zusammenhalt meistern. Wie wir mehr Testkapazitäten schaffen, mehr Details und Transparenz über Infektionsherde veröffentlichen- und die Gesundheitsämter effizienter arbeiten können. Und natürlich auch, ob und wann es richtig ist, Veranstaltungen abzusagen oder zu verschieben.
Aber bitte ohne Blaming und Shaming.